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Dabei könnte ja auch ein Modus der Einführung gefunden werden, welcher den Papst gänzlich aus dem Spiele lassen und einzig auf der Vereinbarung der Reichsstände und dem Gutachten der Mathematiker beruhen könnte. Kepler drückt den lebhaften Wunsch aus, dass seine Glaubensgenossen das kommende Jahr 1600 durch diese große und nützliche Tat verewigen möchten.

Viel wichtiger für uns ist aber Keplers "Dialogus de Kalendario Gregoriano", [1] weil er in ihm unumwunden,


1 Dies ist der Titel, welchen Kepler dem von Frisch a. a. O. IV. 9 aus einem Manuskripte Pulcavense abgedruckten Entwurfe vorgesetzt hat. Zuerst ist derselbe herausgegeben worden von Hanschen im Jahre 1726 "jussu atque auspiciis Caroli VI. e manuscripto". Der Zeitpunkt der Ausgabe lässt. vermuten, dass hiezu der Osterstreit des Jahres 1724 Veranlassung gab (vgl. Piper a. a. O. pap. 27 u. ff.). Ihr liegt eine lateinische Redaktion mit ausführlichem Titel vor, welche auch sonst wesentliche Unterschiede mit der Redaktion A (Pulc.) aufweist. In der Ausgabe von Frisch sind diese Abweichungen und die vielen Zusätze im Petitdruck wiedergegeben. Hanschen führt nicht an, woher er sein Manuskript genommen habe, und Frisch vermag dies ebenfalls nicht anzugeben; er lässt es auch dahingestellt, ob Hanschen nicht etwa ein deutsches Manuskript vorgelegen habe, welches er dann — wie öfter — ins Latein übersetzt hätte. Sicher konstatiert aber auch Frisch, dass hier eine Umarbeitung der Red. Pulc. vorliegt, welche ihrerseits nur ein Entwurf ist, was neben der äußeren Form auch der Umstand beweist, dass sie am Ende mitten in einem Satze abbricht. Nun befindet sich im Codex Vindob. 10704 fol. l - 70 ebenfalls der Dialogus, und zwar in einer Form, welche auf das Verhältnis der Redaktionen ein neues Licht wirft, und einen interessanten Einblick in die Arbeitsmethode Keplers gewährt. Zunächst stellt sich die Red. Vind. dar, als die in einem Zuge gemachte, mit einigen stilistischen Änderungen versehene Reinschrift der Red. Pulc. samt einem gleich unten anzuführenden, dem Zwecke der Abfassung entsprechenden Titel. Auch der in der Red. Pulc. fehlende Schluss des letzten Satzes ist nun beigefügt. Hierauf brachte Kepler auf der anderen Hälfte der gefalzten Seiten in einem Zuge zahlreiche Verbesserungen und Erweiterungen an, und fügte außerdem ein passendes Schlusswort hinzu. Dieser Redak. Vind. liegt dann die Red. Hansch. zu Grunde und zwar ist ihre Übersetzung im engen Anschlusse an die Vorlage gemacht. Daran, dass Hanschen erst diese Übersetzung besorgt habe, ist nicht zu denken, denn in der Red. Hansch. finden sich Stellen, welche die Red. Vind. nicht hat, und auch der umgekehrte Fall tritt einmal ein. Somit hat Kepler zweimal sein Werk umgearbeitet, und dennoch hat er es nicht der Öffentlichkeit übergeben. Dass er die Absicht hiezu hatte, geht schon aus dem Titel der Red. Vind. hervor.