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Weil aber die astronomische Wissenschaft damals noch nicht so weit war, diese Anforderung zu befriedigen, so suchte man durch eine die Zeit des Mondumlaufs möglichst berücksichtigende Berechnung für eine bestimmte Zahl von gewöhnlich in Form eines Kreises (κυκλως)[1] niedergeschriebenen Jahren, nach deren Verlauf die alte Reihenfolge der Daten wiederkehrte, den Frühlingsvollmond zu finden. Diese Berechnungsart nennt man daher die cyklische.

Wiewohl die Mehrzahl der Christen schon sehr früh begonnen hatte durch dauernde Verlegung des Osterfestes auf den Sonntag den Gegensatz der Kirche zur Synagoge offen zu bekunden, so richteten sich in der Zeitbestimmung des Vollmondes anfänglich doch viele nach der Praxis der Juden, um an dem dem jüdischen Passah folgenden Sonntag Ostern zu feiern. Der enge Anschluss an die Berechnung der Synagoge geschah sogar dann noch, als die Juden, besonders im 2. und 3. Jahrhundert, Passah nicht selten an dem der Frühlingsnachtgleiche zuletzt vorhergehenden Vollmond feierten. Hiernach war es möglich, dass innerhalb des Zeitraumes von einem Jahr das Osterfest zweimal begangen wurde. Die christlichen Anhänger dieses Gebrauches heissen Protopaschiten (von πρωτον πασχα); bis in die neueste Zeit werden sie irrtümlicherweise häufig mit den oben genannten Quartodezimanern verwechselt; von diesen sind sie aber verschieden. Sie wohnten in Syrien, Cilicien und Mesopotamien, d. h. im Patriarchat von Antiochien. Die Sitte, Ostern vor Frühlingsanfang zu feiern, wurde vom Konzil von Nicäa (325) mit Erfolg verboten;[2] die Protopaschiten fügten sich mit Ausnahme von wenigen, die schismatisch wurden.

Erst im 3. Jahrhundert schritten die Christen dazu, auch bei der Berechnung des Ostervollmondes sich von der jüdischen Praxis freizumachen. Infolge des Fehlens einer festen und allgemein anerkannten Norm trat nun eine grosse Mannigfaltigkeit der Osterberechnungsmethode zu Tage, die bis zur Zeit Karls des Grossen sich fortpflanzte. Bei der Unzulänglichkeit der damaligen astronomischen Bestimmung der Himmelserscheinungen drängt sich, wie bereits erwähnt, von selbst die cyklische Feststellung der Ostervollmondsdaten auf. Es wurden Cyklen von 8, 16, 19, 72, 84 und 112 Jahren aufgestellt, die teils nebeneinander, teils nacheinander in Geltung waren. Die Cyklen von 8, 16, 72 und 112 Jahren haben es nie zu einer Bedeutung gebracht und können daher hier übergangen werden. Wichtig dagegen wurden der 84jährige und der 19jährige Cyklus. Zur Zeit des unsicheren Schwankens wurde ersterer hauptsächlich im Abendlande, der zweite im Morgenlande befolgt. Dieser verdrängte zuletzt alle anderen Bestimmungsmethoden.


1 Ein derartiger κυκλως (rota paschalis) ist abgebildet bei E. Schwartz, a. a. 0. Beilage I, und bei Angelo Mai, Script. veterum nova collectio V (1831) S. 72.
2 Irrtümlich ist die vielfach verbreitete Meinung (vgl. z. B. Goldscheider, Über die Gausssche Osterformel I S. 29), als habe dieses oder irgend ein anderes Konzil das Zusammenfallen des christlichen Osterfestes mit dem jüdischen Passah verboten und als habe die gregorianische Kalenderkommission, die dies öfters zulässt, das Verbot missachtet. Die Konzilien verfolgten nur dies Ziel, die christliche Osterberechnuug auf eigene Füsse zu stellen und das Osterfest überall nach Frühlingsanfang zu feiern. Hätten sie die ihnen unterschobene Vorschrift erlassen, so hätten sie gerade das Gegenteil von dem erreicht, was sie wollten, indem sie die christliche Festberechnung von der jüdischen abhängig machten.