98Kaltenbrunner.[580]

Kepler verhehlt sich nicht, wie misslich es sei, in dieser Sache noch neue Gesichtspunkte hervorzuheben, aber er gibt sich doch der Hoffnung hin, dass es trotzdem den streitenden Parteien nicht unangenehm sein werde, die Wahrheit zu hören. Eigentlich — meint Kepler — hätte er die beiden Hauptkämpfer, Clavius und Maestlin einander gegenüberstellen sollen, aber er fürchtete, dass in den Gemütern durch Erinnerung an die alte Leidenschaft der alte Hass von Neuem angeregt, und dass das Gemüt seines Freundes (Maestlin) dadurch unangenehm berührt würde. So lässt er auf beiden Seiten je zwei — einen weltlichen und einen geistlichen Beamten — die Sache besprechen; damit aber wäre es ihm selbst nicht möglich gewesen, seine eigene Meinung auszusprechen, und so führt er als fünfte Person den Mathematicus ein, der sich bald, als über den Parteien stehend, der Leitung des Gesprächs bemächtigt. Wohl alle Gesichtspunkte, die wir im Laufe des Streites haben aussprechen hören, werden hier von den beiden Gegnern herangezogen; in manchen Punkten hält sich hiebei der Mathematiker ganz vom Gespräche fern, so bei der Berechtigung des Papstes zur Reform. Ganz entsprechend den Dimensionen und dem Resultate, welche die Polemik genommen hatte, gelangen die Parteien zu keiner Einigung, nachdem die Protestanten direkt zugegeben hatten, dass, auch wenn der Kalender vollständig frei von Fehlern wäre, sie ihn doch wegen des päpstlichen Ursprungs zurückweisen würden. Das weiteste Zugeständnis, das sie machen, ist, dass sie zustimmen, wenn von Reichswegen beschlossen würde, dass Ostern


Dasselbe Schriftstück findet sich auch im Codex Vindob. 10704 fol. 88a und auch hier ist das Verhältnis der beiden Redaktionen so wie beim "Dtalogus". — Ich muss es mir versagen, diese und zahlreiche andere Arbeiten und Rechnungen, die von Keplers Hand sich in dem Codex Vindob. 10704 finden, zu besprechen. Sie hängen alle mit der zuletzt angeführten Schrift zusammen, sind also teils als Vorstudien zu betrachten, teils haben sie den Zweck, eine Vereinbarung zwischen den beiden Parteien herbeizuführen; sie liegen also schon jenseits der Grenze, welche sich diese Arbeit gesetzt hat. Sehr auffallen muss es aber, dass Frisch, der auf der Wiener Bibliothek arbeitete, diesen wertvollen und manches bisher unedierte Schriftstück Keplers enthaltenden Codex übersehen hat. Vielleicht komme ich auf denselben bei anderer Gelegenheit noch zu sprechen.