Sickel, Die Lunarbuchstaben in den Kalendarien des Mittelalters.153

Die Lunarbuchstaben in den Kalendarien des Mittelalters.

Von Dr. Th. Sickel.

In den Urkunden des Mittelalters wurde der Tag oft nach dem Alter des Mondes bezeichnet; in den Klöstern kam es frühzeitig auf, dass, wenn in der Prime der Tagesabschnitt aus dem Martyrologium verlesen wurde, neben den anderen Tagesmerkmalen auch die Luna verkündet wurde. Nun weiß jedermann, dass solche Mondzeitbestimmungen nicht auf unmittelbarer Beobachtung beruhen, sondern auf einer zyklischen Berechnung, welche den Alexandrinern entlehnt das ganze Mittelalter hindurch in Gebrauch gewesen ist. Wie aber, liegt es dann nah zu fragen, hat man aus den Gesetzen des Zyklus das Mondalter für den einzelnen Tag bestimmt? Hat man in jedem Falle die Rechnung nach der fast bei allen Computisten gleichlautenden Anweisung angestellt? Unter Karl dem Großen wurde zwar von jedem Geistlichen gefordert, dass er den Computus kenne 1) und vielleicht mögen, so lange die Karolingischen Schulen blühten, auch viele im Stande gewesen sein, jede Art von lunarer Rechnung durchzuführen. Aber der Mehrzahl musste man doch für den täglichen Bedarf Hilfsmittel zur Hand geben, so gut wie Oster- und andere Zeittafeln, die auch entbehrlich gewesen wären, wenn jeder die Regeln der Bücher inne gehabt und anwenden gelernt hätte. Die chronologischen Hilfsmittel nebst den liturgischen Werken waren sogar die ersten, die sich jedes Kloster, jeder Geistliche verschaffte, und war es nun


1) Monum. Germ, hist. LL. 1, 65. 107. 125 u. a. a. O. - Computus ist aber nicht nur die gemeine Rechenkunst, sondern die auf die Zeitbestimmungen angewandte. - Durandus rationale div. offic. VIII c. 1: "Quoniam, sicut ait beatus Augustinus, sacerdotes computum scire tenentur, alioquin vix eis nomen sacerdotis constabit: sub quo notitiam cursus temporis, lunae ac calendarii intelligimus, quoniam computus est scienlia certificandi tempus secundum solis et lunae progressum".