62Kaltenbrunner.[544]

Durch Schweigen also geben die Gegner zu, dass alle gemachten Angriffe gerechtfertigt sind. Den Possevinus hält er eigentlich der Entgegnung nicht für würdig, aber er will nicht, dass Anhänger des Kalenders, namentlich solche, die, weil in der Mathematik unkundig, sein Alterum examen nicht gelesen haben, sich durch derlei jesuitische Kunstgriffe täuschen lassen, und des Possevinus Behauptung glauben, er habe trotz eines dröhnenden Titels durchaus nicht dem neuen Kalender geschadet. Der Reihe nach wiederholt nun Maestlin seine Angriffe und hält sich besonders eingehend bei der Korrektur des Sonnenjahres auf. Den angeführten Einwurf des Possevinus nun weiß er sehr geschickt zu umgehen. Indem er nachwies, dass die Äquinoktien sehr schwankend also durch den neuen Kalender nicht am 21. März gefestigt seien, habe er allerdings die Prutenischen Tafeln als die verhältnismäßig besten benützt, nachdem die Kalendermacher in Rom ihre Pflicht, neue aufzustellen, versäumt hatten. Die Prutenischen Tafeln seien, wenn auch im Einzelnen fehlerhaft, doch auf richtigen Grundlagen aufgebaut, und eine derselben sei die Anomalie der Jahrpunkte — der Grund ihrer Schwankungen. Indem er nun bestritten habe, dass das Äquinoktium fix am 21. März bleibe, habe er die Qualität der Anomalie, nicht deren Quantität im Auge gehabt, und nur notgedrungen habe er sich hiebei der allerdings nicht sicheren speziellen Beispiele aus den Prutenischen Tafeln bedient. Wenn endlich Clavius, oder ein anderer das versprochene Werk publizieren und von Grund aus ihn eines ändern belehren werden, so ist Maestlin bereit, der Wahrheit die Ehre zu geben; wenn aber Clavius nichts besseres zu sagen weiß, als Possevinus, so möge gleich diese Schrift als Antwort ihm gelten.[1]


1 Maestlin schrieb denn in der Tat auch fernerhin über den Kalender, wozu ihm ohne Zweifel die Erwiderung des Clavius Anlass gegeben hat. Die Schrift führt den Titel: "Examina eorumdemque Apologia"; leider findet sich dieses Werk auf keiner der drei genannten Bibliotheken und ich kenne den Titel nur aus Lipenius, Bibliotheca Realis Philosophica. Dieser gibt 1593 als Jahr des Erscheinens an; vielleicht ist dies in 1597 zu korrigieren, denn am 9. / 19. März dieses Jahres schreibt Maestlin an Kepler, er habe vor einer Woche seine neue Schrift gegen den Gregorianischen Kalender vollendet. Aus dem Wortlaut des Briefes geht hervor, dass er im Auftrage der Universität Tübingen dieses Werk abfasste, denn er klagt, dass ihm die etwas verspätete Vollendung manche Unannehmlichkeit und eine Rüge vom Senate zugezogen habe. (J. Kepleri Opera edd. Frisch. I. 31.) Ist die Angabe des Lipenius richtig, so bleibt nichts anders übrig, als in dieser 1597 vollendeten Schrift einen fünften Angriff Maestlins zu sehen.