[519]Die Polemik über die Gregorianische Kalenderreform.37

Nach dieser schönen Einleitung geht Ossiander auf den ersten der im Titel angekündigten Punkte über. Aus theologischen Gründen, deren Auseinandersetzung man mir gerne erlassen wird, bestreitet er die Notwendigkeit der Reform, zumal da der Papst lieber darauf sehen sollte, seine Kirche als den Kalender zu reformieren. Indem Ossiander von den Anmaßungen des Antichrist in Rom spricht, verdächtigt er den Papst, dass er auch den Gestirnen gebieten wolle, nach seinem Kalender zu gehen. Wenn aber etwa Mathematiker demselben Fehler nachweisen sollten, wird man zu Rom sagen, dass diese, nicht der Papst fehlen. Zu dieser Unordnung habe jedenfalls Josua Veranlassung gegeben, als er Sonne und Mond stille stehen lies, hätte er sie damals ruhig laufen lassen, so würden ihre Erscheinungen sicherlich mit dem Gregorianischen Kalender übereinstimmen. Wie Maestlin schiebt auch Ossiander der Kurie unredliche Absichten unter; sie will nach seiner Meinung unter den Reichsständen Zwietracht säen und unter ihren Anhängern selbst sondieren; jene katholischen Stände, die nicht allsogleich und bereitwillig den neuen Kalender annehmen würden, werden von nun an von ihren geheimen Plänen nicht mehr unterrichtet werden.

Bei diesen Gesinnungen ist es natürlich, dass Ossiander dem Papste das Recht streitig macht, die Reform vorzunehmen und wieder ihm die evangelische Freiheit als Schild entgegenhält. In Folge dessen ist es auch für Ossiander eine ausgemachte Sache, dass die Evangelischen mit allen Kräften gegen die Reform sich wehren müssen; wie aber sollen sich jene Religionsgenossen verhalten, die unter katholischer Herrschaft leben? Zunächst sollen auch sie sich auf ihre durch Verträge geheiligte Freiheit berufen und die Annahme des Kalenders verweigern. Sollte es aber soweit kommen, dass die Obrigkeit mit Gewalt und Schließung der Kirchen droht, so sollen sie sich dem Zwange fügen; aber an den nun falsch gefeierten Festtagen sollen die Prediger erklären, dass sie nur gezwungen sich der Gewalt gefügt und dem römischen Antichrist auch in diesem Punkte nicht unterworfen seien.

Dieser Rat Ossianders gewann praktische Bedeutung in Steiermark; es ist nicht zu bezweifeln, dass das ganz in diesem Sinne abgefasste Gutachten der Tübinger Universität an die Stände dieses Landes unter dem Einfluss Ossianders abgefasst wurde. [1]


1 vgl. Zahn, a. a. O.