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Zudem hatte das grosse Ereignis des ersten christlichen Osterfestes zahlreiche Vorbilder im Alten Testamente. Da nun das Passah und mit ihm Ostern im Sonnenjahre ein bewegliches Fest ist, so brachen bezüglich der Zeit der Feier in der Christenheit bald Streitigkeiten aus, die mehrere Jahrhunderte dauerten und oft einen leidenschaftlich erregten Charakter annahmen. An das Judentum lehnte sich die gesamte christliche Kirche für die Bestimmung der Osterfestzeit insofern an, als sie dessen Passahtermin, nämlich den 14. Nisan (erster Monat im liturgischen Jahr der Juden), massgebend machte für die Fixierung der ereignisreichen Leidenswoche. Hinsichtlich des Wochentages aber befolgten die Völker jüdisch - orientalischer Zunge und die hellenisch - occidentalischer Zunge ihre eigene Praxis: für jene war das Datum des Leidenstages massgebend, für diese der Wochentag. Infolgedessen musste es selbstverständlich in der hochkonservativen Kirche, welche ererbte Gebräuche eifersüchtig hütete, bald zu heftigen Differenzen kommen; diese drehten sich schliesslich um zwei Hauptpunkte: um den Wochentag des Osterfestes und um das Datum desselben, bzw. um das Datum des Ostervollmondes.

2. Streit um den Wochentag der Osterfeier.

Der Streit um den Wochentag brach zuerst aus. Die aus dem Judentum hervorgehenden Christen, die Judenchristen, begingen das Osterfest zu derselben Zeit, in welcher die Synagoge Passah feierte. Das geschah aber ohne Rücksicht auf den Wochentag am 14. Nisan (luna XIV), an dessen Abend die Festfeier bei den Juden ihren Anfang nahm, so dass der Hauptteil des Festes dem 15. Nisan (luna XV) zufiel. Der Nisan ist der erste Monat im liturgischen jüdischen Mondjahr, fällt ganz oder seinem Hauptteile nach ins Frühjahr so, dass der Vollmond nach dem Frühlingsäquinoktium oder am Tage desselben eintrifft; er beginnt mit einem Neumondstag, d. h. mit dem Tage, an dem die Mondsichel zuerst gegen Abend am Himmel sichtbar wird,[1] so dass am 14. Nisan der Vollmond eintritt. Daher ist das Passah und das christliche Osterfest mit dem dem Frühlingsäquinoktium zunächst folgenden Vollmond zeitlich verknüpft. Am 14. Nisan assen die meisten Judenchristen das Osterlamm, die beiden folgenden Tage waren ihnen Buss- und Vorbereitungstage, der 17. Nisan das zur Freude stimmende Fest der Auferstehung. Hierbei wird auf den Wochentag keinerlei Rücksicht genommen; der Monatstag allein ist ausschlaggebend. Da nun der vierzehnte eines Monats lateinisch "luna quarta decima" heisst, so werden die Anhänger dieser Praxis Quartodezimaner (τεσσαρεσκαιδεκατιται) genannt.


1 Unter dem Neumond versteht man im Kalender und in der Chronologie nicht, wie die Astronomen, die wahre Konjunktion der Sonne und des Mondes, die nur zur Zeit einer Sonnenfinsternis mit blossem Auge beobachtet werden kann (vgl. Thucyd. II, 28), sondern das erste Sichtbarwerden des Mondes; 13 Tage hiernach tritt Vollmond ein, während zwischen der wirklichen Konjunktion und dem Eintreffen des Vollmondes im Durchschnitt 15 Tage liegen. Bezeichnungen: der Neumondstag ist luna I, der Vollmondstag luna XIV (τεσσαρεσκαιδεκατη,ιδ'), der erste Tag darnach luna XV, der zweite Tag darnach luna XVI usw.