Erster Teil.

Geschichte der Osterberechnung. Der Osterstreit.[1]

1. Allgemeines über Ostern.

Die Kultur des Christentums beruht in ästhetisch - intellektueller Beziehung auf dem hellenisch - römischen Klassizismus, nach der ethischen Seite auf dem mosaischen Offenbarungsglauben, in liturgischer Beziehung auf der jüdischen Gottesdienstordnung. Ein treues Abbild ihres Werdeganges ist der alt- und neuchristliche Festkalender. Das Astronomisch - Zahlenmässige hat er dem heidnischen Klassizismus, das Religiös - Liturgische in seinen ersten Anfängen dem Judentum entlehnt. Beide Elemente hat er unter geschickter Anpassung an die christlich - religiösen Bedürfnisse sachgemäss weiterentwickelt.

Zentralpunkt der christlichen Festordnung ist das Osterfest. Da das Christentum in der Urzeit mit der Synagoge noch in der innigsten Fühlung stand, und der Erlösungstod des Herrn und die Ausgiessung des Heiligen Geistes auf die beiden judischen Hauptfeste. Passah und Pentecoste, fielen, so war es sehr natürlich, dass Ostern und Pfingsten, wenn auch die Festidee bei den Christen eine höhere geworden war, hinsichtlich der Zeit in Abhängigkeit von der jüdischen Festordnung geriet. Es sind aber jüdisches Passah und christliches Osterfest auch inhaltlich miteinander verwandt, indem sie sich zu einander wie Vorbild und Vollendung verhalten. Das Passah ist die Erinnerung an den Auszug der Israeliten aus Ägypten, somit die Erinnerung an die Erlösung von drückender, schwerer Knechtschaft; ebenso ist das christliche Osterfest dem neuen Bundesvolk die Bürgschaft der Befreiung von Sünde und ewigem Tod, der Auferstehung zum ungetrübten Himmelsleben.


1 Für diesen historischen Teil vgl. Duchesne, La question de la Pâque au Concile de Nicée (Revue des questions hist. XXVIII [1880] S. 5 ff.); Krusch, Studien zur christl. - mittelalterl. Chronologie (Leipzig 1880), ferner: Einführung des griechischen Paschalritus im Abendland (Neues Archiv d. Gesellsch. f. ält. deutsche Geschichtskunde IX [1884] S. 99 ff.); Jos. Schmid, Die Osterberechnung auf den Britischen Inseln (Regensburg 1904); Die Osterfrage auf dem ersten allg. Konzil zu Nicäa (Theol. Studien der Leogesellschaft, 13, Wien 1905); E. Schwartz, Christl, u. jüdische Ostertafeln (Berlin 1905); Kellner, Heortologie (Freiburg 1906. Erst nach Beendigung meiner Abhandlung ist mir Jos. Schmid s dritte Schrift: Die Orterberechnung in der abendländischen Kirche (Strassburger theolog. Studien, IX, l; Freiburg i. B. 1907) bekannt geworden. Die vorzügliche Abhandlung gab mir zu einer Änderung meiner Ansichten keine Veranlassung. Noch weitere Literatur in überreicher Menge ist verzeichnet von Lersch. Einleitung in die Chronologie, II. Teil (Freiburg i. B. 1899), 8. 183 ff. Die Abhandlungen von Caes. Tondini de Quarenghi, L'Italia e la questione del calendario al principio del XX secolo (Florenz 1905) und Suntne Latini quadrodecimani (Prag 1906) sind mir erst nach Beginn des Druckes zugegangen.